Objektwege
Von der Kunstkammer ins Museum
Eine virtuelle Ausstellung von
Die einst im Berliner Schloss beheimatete Kunstkammer war der Ursprung der Museumslandschaft dieser Stadt. In dieser Sammlung, die vom 16. bis weit ins 19. Jahrhundert hinein existierte, waren Objekte der Natur, Kunst und Wissenschaft vereint. Im 19. Jahrhundert gingen sie nach und nach in die neu gegründeten Berliner Museen ein, wo sie im Laufe der Zeit unterschiedlichen Sammlungsbereichen zugeteilt wurden. Heute befinden sich Objekte aus der Kunstkammer in fast allen Sammlungen der Staatlichen Museen zu Berlin, auch an Orten, an denen man sie nicht erwarten würde.
Die Biografien der Objekte aus der Kunstkammer, ihre wechselnden Interpretationen und Wege ins Museum werden derzeit im Rahmen des DFG-Projekts "Das Fenster zur Natur und Kunst" erforscht. Das Projekt ist eine Kooperation der Humboldt-Universität zu Berlin, des Museums für Naturkunde Berlin und der Staatlichen Museen zu Berlin. Es geht der Frage nach, welche Deutungen mit den jeweils neuen Sammlungszuordnungen der Objekte einhergingen und gewinnt so neue Einblicke in die Geschichte der Kunstkammer und die Entstehung der Museen.
In der Ausstellungsintervention "Objektwege. Von der Kunstkammer ins Museum" werden fünf Objekte in überraschenden Konstellationen am Kulturforum und auf der Museumsinsel präsentiert. Dabei werden ihre Wege durch die Sammlungen sowie transkulturelle Gesichtspunkte beleuchtet. Die Online-Version dieser Ausstellung lädt dazu ein, einzelne Objekte näher zu entdecken. Sie stellt außerdem weitere Objekte vor.
Ein Ausstellungsprojekt im Rahmen von "WEITWINKEL Globale Sammlungsperspektiven"
Von der Kunstkammer ...
Die Berliner Kunstkammer war eine universal angelegte Sammlung. Sie umfasste Objekte verschiedenster Wissensgebiete und ensprach damit einem vom 16. bis weit ins 18. Jahrhundert hinein sehr verbreiteten Sammlungstypus. Kunstkammern fanden sich in dieser Zeit an Fürstenhöfen, aber auch im Kontext der Gelehrtenkultur. Sie waren die Vorform der heutigen Museen.
... ins Museum
Seit dem frühen 19. Jahrhundert wurden in Berlin immer wieder Museen gegründet. Viele erhielten Bestände aus der Kunstkammer, so etwa das 1830 gegründete Alte Museum oder das 1855 eröffnete Neue Museum. Gleichzeitig existierte die Kunstkammer weiter als Abteilung der "Königlichen Museen zu Berlin". Es begann ein langer Prozess, in dem die Objekte der Kunstkammer nach und nach neuen Häusern zugeordnet wurden.
Objektwege
Das DFG-Projekt "Das Fenster zur Natur und Kunst" beleuchtet die Geschichte der Berliner Kunstkammer aus objektbiografischer Perspektive: In welcher Weise gelangten die Objekte in die Sammlung? Wie wurden sie in die Sammlung eingeordnet, wie im Raum präsentiert? Wie gestaltete sich ihr Eingang in die ab dem 19. Jahrhundert entstehenden Museen? Und welche Interpretationen gingen mit diesen Prozessen einher?
Grundlage der objektbiografischen Forschung ist die Arbeit mit verschiedenen Quellen wie Inventaren, Besucherberichten, Museumsführern und bildlichen Darstellungen von Sammlungsräumen.
01
Das Oldenburger Wunderhorn
Die Zeichnung des Oldenburger Horns hat eine lange Reise durch verschiedene Sammlungen hinter sich, die einen seltenen Einblick in die Entstehungsgeschichte der Berliner Museen gewährt. Im 18. Jahrhundert war sie Teil der Kunstkammer im Berliner Schloss. Im Inventar der Kunstkammer von 1694 findet sich der Eintrag "24. Das Oldenburgische Wunderhorn Vergüldet ist in einem schwartzen rahmen". Die Zeichnung verwies auf ein spektakuläres Objekt der Kopenhagener Kunstkammer. Dort befand sich das Oldenburger Horn bis ins frühe 19. Jahrhundert.
Nach Stationen im Neuen Museum und in dem zu dieser Zeit im Martin-Gropius-Bau untergebrachten Deutschen Gewerbe-Museum (dem heutigen Kunstgewerbemuseum) gelangte die Zeichnung des Oldenburger Horns 1907 schließlich in die Bibliothek des Gewerbe-Museums (die heutige Kunstbibliothek), die zu dieser Zeit in der Prinz-Albrecht-Straße, der heutigen Niederkirchner Straße untergebracht war.
Die Bibliothek bildete zu dieser Zeit bereits eine eigene Abteilung der Königlichen Museen. Bis 1894 war sie Teil des Gewerbe-Museums gewesen und hatte vor allem als Lehrsammlung der mit dem Museum verbundenen Kunstgewerbeschule gedient. In dieser neuen Umgebung war die Zeichnung des Oldenburger Horns Teil einer Vorbildersammlung. Sie konnte Künstlern, Kunstgewerblern und Fabrikanten als Anregung für ihre Arbeit dienen.
02
"Ewiger Kalender"
Mit Hilfe dieses um 1579 im Allgäu entstandenen immerwährenden Kalenders lassen sich die kirchlichen Festtage ermitteln. Die figürlichen Darstellungen weisen auf die feststehenden Feiertage hin. Häufig zeigen sie Heilige - auf dem Holzblatt links im Bild, das dem "Wyntermon" (November) gewidmet ist, kann man den Schriftzug "Martinus" erkennen. Links daneben ist der Heilige Martin als Bischof dargestellt. Die Zeichen im unteren Teil des Blatts dienen der Bestimmung der Wochentage im jeweiligen Jahr.
Holzkalender sind ab Mitte des 19. Jahrhunderts in der Berliner Kunstkammer nachweisbar. Hier fanden sich viele Kleinplastiken und kostbares Kunsthandwerk, so etwa dieser um 1600 entstandene Diana-Automat. Vieles davon wird heute im Kunstgewerbemuseum und in der Skulpturensammlung der Staatlichen Museen aufbewahrt. Die Kunstkammer war jedoch wesentlich vielfältiger. Sie enthielt auch ethnografische Objekte, darunter wenige aus Europa.
Die aus Europa stammenden ethnografischen Objekte der Berliner Kunstkammer wurden im 19. Jahrhundert größtenteils der ethnografischen Abteilung des Neuen Museums zugeordnet. Hier waren sie in einem Schrank untergebracht, der 1999 im Museum Europäischer Kulturen mit Originalobjekten rekonstruiert wurde.
1886 gingen die europäischen Objekte mit mehreren tausend anderen Ethnografika aus Außereuropa vom Neuen Museum an das damals neu eröffnete Königliche Museum für Völkerkunde, das heutige Ethnologische Museum. Sie wurden dort aber nicht ausgestellt.
Als Reaktion darauf gründete Rudolf Virchow 1889 ein Museum, das Gegenstände aus den ländlichen Regionen Deutschlands und angrenzenden europäischen Gebieten zeigen sollte. Zu der dafür neu angelegten Sammlung kamen auch einige europäische Objekte aus dem Museum für Völkerkunde.
1904 wurde das von Virchow gegründete Museum als Königliche Sammlung für deutsche Volkskunde Teil der Königlichen Museen. Nach dem Zweiten Weltkrieg entstanden in Ost- und West-Berlin zwei parallele Museen für Volkskunde. Beide waren Vorläuferinstitutionen des 1999 gegründeten Museums Europäischer Kulturen, das den Kalender heute bewahrt.
03
"Das Auge des Nebukadnezar"
Dieser Abguss aus dem 18. Jahrhundert zeigt den Kopf eines Kriegers sowie eine Weihinschrift des babylonischen Königs Nebukadnezar II. Als Vorlage diente wohl ein Augenstein, vermutlich im 6. Jahrhundert v. Chr. aus Onyx für das Bildnis des Stadtgottes von Babylon, Marduk, gefertigt.
Der Abguss ist das erste mit Keilschrift versehene Objekt in den Berliner Sammlungen und wird in der Literatur häufig als "Auge des Nebukadnezar" bezeichnet. Er hat über die Fachkreise hinaus einige Bekanntheit erlangt.
Als der Abguss des babylonischen Augensteins nach Berlin kam, war er Teil der Sammlung des preußischen Gelehrten und Diplomaten Philipp von Stosch. Diese zählt zu den bedeutendsten Gemmensammlungen des 18. Jahrhunderts und ist Teil des Gründungsbestands des Alten Museums. In der Sammlung Stosch befand sich der Abguss in der Nachbarschaft einer Vielzahl hauptsächlich römischer und griechischer Gemmen.
Ähnlich war es in den ersten 150 Jahren seiner Berliner Geschichte. Hier gehörte das "Auge des Nebukadnezar" zunächst lange zu der Antikenabteilung der Kunstkammer, die wiederum vornehmlich griechischen und römischen Stücken gewidmet war. Nach 1830 wurde der Abguss im Antiquarium des neu gegründeten Alten Museums gezeigt.
Erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts nahm in Berlin das Interesse an archäologischen Funden aus Vorderasien zu, nachdem spektakuläre Funde in London und Paris das Museumspublikum begeisterten. 1899 wurde schließlich das Vorderasiatische Museum gegründet, in dem der Abguss heute aufbewahrt wird.
Die Berliner Geschichte dieses Objekts gibt einen Eindruck davon, dass die Kunstkammer neben kunsthandwerklichen Gegenständen eine große Vielfalt von Objekten verschiedener Wissensgebiete umfasste, deren Relevanz immer wieder neu eingeschätzt wurde.
04
Teller aus Iznik
Dieser Teller stammt aus den Keramikwerkstätten von Iznik in der Westtürkei. Die Keramik aus dieser Stadt ist berühmt für ihren kräftigen Rotton und die strahlend weiße Feinkeramik.
Die Wanderung, die der Teller aus Iznik in den Berliner Museen durchlief, zeigt, wie sich die Perspektive auf ein Objekt im Zuge seiner Zuordnung zu verschiedenen Sammlungen ändern kann und wie transkulturelle Bezüge mehr oder weniger sichtbar werden, je nachdem in welcher Sammlung ein Objekt sich befindet.
1875 kam der Teller aus Iznik in das Berliner Gewerbe-Museum (heute: Kunstgewerbemuseum). Hier erhielt er die Inventarnummer K (wie Kunstkammer) 2352. Sie ist noch heute auf der Rückseite des Tellers zu sehen.
Zwar wurde Iznik-Keramik bereits seit dem 16. Jahrhundert nach Europa importiert. Das Wissen, dass diese Keramik in der Türkei hergestellt wurde, war in Europa jedoch zwischenzeitlich nicht mehr präsent. So ist auch in dem 1875 entstandenen Inventar, das die Übergabe der Kunstkammerobjekte an das Gewerbe-Museum dokumentiert, der Teller in der Rubrik "Persisch rhodische Fayencen" eingeordnet.
Keramik aus Iznik war anfangs blau-weiß und von chinesischem Porzellan beeinflusst. Später wurde sie selbst zum Vorbild für italienische Keramik. Diese Bezüge waren im Gewerbe-Museum für die Besucher*innen erkennbar. Hier war der Teller Teil einer kulturübergreifend gedachten Vorbildersammlung für qualitätsvolles Kunsthandwerk.
Neben Beispielen aus Europa waren hier auch Werke aus der islamisch geprägten Welt und aus Ostasien anzutreffen. Gezeigt wurden im Gewerbe-Museum auch italienische Majolika, an welchen ein direkter Einfluss aus Iznik abzulesen ist.
Erst in den 1920er Jahren wurde der Teller schließlich an das neu gegründete Museum für Islamische Kunst abgegeben, um Teil einer umfangreichen Sammlung von Keramik aus Iznik zu werden. Dies erlaubt es, die Entwicklung der Iznik-Keramik nachzuvollziehen. In dieser Umgebung kann der Teller als Studienobjekt einer Betrachtung der Keramikproduktion und -gestaltung in der islamisch geprägten Welt dienen.
05
Kleiner Kabinettschrank
Vermutlich befanden sich in der Berliner Kunstkammer bereits um 1700 ostasiatische Möbel, die dem japanischen Kabinettschrank ähnelten. Darauf deutet der Bericht eines anonymen Venezianers über seinen Besuch in der Kunstkammer zu Beginn des 18. Jahrhunderts hin. Hier ist - in einer für die Beschreibung außereuropäischer Objekte in diese Zeit typischen, ungenauen Weise - von “chinesischen Schränken in verschiedener Form" die Rede.
Unter Umständen waren Möbel wie das japanische Lackkabinett auch Vorbild für die von dem Berliner Lackkünstler Gérard Dagly in den 1690er Jahren gefertigten Schränke, in welchen die Münzen der Kunstkammer aufbewahrt wurden. Einer dieser Schränke befindet sich heute im Kunstgewerbemuseum in Köpenick.
Während einige ostasiatische Objekte der Kunstkammer im Museum für Völkerkunde (dem heutigen Ethnologischen Museum) blieben, wanderten andere weiter in das Museum für Asiatische Kunst. Dabei scheint ein Kriterium gewesen sein, ob es sich um Exportwaren handelte, die an eine europäische Käuferschaft gerichtet waren, oder aber um für den ostasiatischen Markt angefertigte, "authentische" Werke. Auf diese Weise blieb das Lackschränkchen im Völkerkundemuseum, während dieser um 1700 in Japan gefertigte Picknickkasten in Form eines Kürbisses in das Museum für Asiatische Kunst gelangte. Nicht immer ist die Aufteilung jedoch nachvollziehbar.